Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf Sie heute also, wie schon gesagt wurde,
in eine ferne Zeit entführen, in das Jahrhundert, das erste Jahrtausend nach der Geburt Christi
Abschluss und besonders in seiner ersten Hälfte zwischen der reichen karolingischen Zeit und der
überaus produktiven Epoche des späteren 11. und 12. Jahrhunderts durch die Armut der schriftlichen
Hinterlassenschaft gekennzeichnet ist. Die Quellensituation wird gewöhnlich in Zusammenhang mit
dem allgemeinen politischen Niedergang und dem Umbruch der Verhältnisse in der ausgehenden
Karolingerzeit gesehen, mit der Auflösung der alten Strukturen des fränkischen Reichs durch
beständige Teilungen, durch Kämpfe der Nachkommen kreist des großen Umteilgebiete und Erbschaften,
durch den Aufstieg regionaler Adelsfamilien in Schutz- und Herrschaftsfunktionen des schwachen
Königtums, dessen Erneuerung wiederum in steter Wechselwirkung durch eben diesen Adel auch
verhindert wurde. Dazu kamen bekanntlich die Bedrängnisse von außen her, die verheerenden
Einfälle der Normannen, dazu die Ungarn im Mittelmeerraum, auch die Sarazenen. Unser Blick
richtet sich auf den Mittelteil des Karolingerreiches, der 843 im Vertrag von Verdun Lothar, dem ersten,
dem ältesten Sohn Ludwig des Frommens zuviel, erreichte von der niederländischen Nordseeküste
bis nach Mittelitalien bis zum Herzogtum Benevent und vereinigte entsprechend der Kaiserwürde
Lothars die imperialen Orte Aachen und Rom und schloss die Kernstücke, die Kerngebiete der
karolingischen Familie ein mit Metz als der Stadt, in der Arnulf, der Stammvater der Familie, in seinen
späten Jahren Bischof gewesen war und begraben lag. Als nach Lothars des ersten Tod 855 dieses
Mittelreich auf seine drei Söhne verteilt wurde, erhielt Lothar der Zweite das Gebiet von den
Niederlanden bis nach Burgund, das seitdem Lotharingia genannt wurde. Lothar der Zweite starb 869,
zur Freude seiner Verwandten, zur rechten und zur linken kinderlos, so stritten sich nun westfränkische
und ostfränkische Karolinger um das Erbe. Karl der Kale besetzte Metz umgehend und ließ sich dort
zum König krönen, wurde aber von den Ostfranken wieder vertrieben, Streitkämpfe, Teilungen und
erneute Vereinigungen folgten, Teilungsverträge in Mersen an der Mars 870 und in Ribément 880
hatten nur kurzfristig Bestand. 895 bis 99 wurde Lotharingen als ostfränkisches Unterkönigreich,
von dem Karolinger Zwentybold regiert, fiel aber nach dem Aussterben der ostfränkischen Königsfamilie
mit Ludwig dem Kind 911 wieder an den Westen an den Karolinger Karl den Dritten, Le Semple oder
der Einfältige, der nun stolz die Datierung seiner Urkunden um den Hinweis auf das reichere ihm nun
zugefallene Erbe ergänzte, Largiore Hereditate Indepta. Doch schon bald führte ein Aufstand
der westfränkischen Großen des Adels zu seinem Sturz und zu seiner Gefangenschaft bis zu seinem
Tode 929. Die Lothringer schlossen sich mehrfach schwankend wieder dem Osten unter dem neuen
sächsischen König Heinrich I. an, der 925 durch seinen zweiten Feldzug nach Lothringen das Land
dauerhaft mit dem ostfränkisch-sächsischen, dem entstehenden deutschen Reich vereinigte,
wenn auch 939 und 953, 954 noch einmal Aufstände in diesem Zentrum ausbrachen gegen ihn,
Aufstände allerdings die von Verwandten gegen ihn angezettelt worden waren. In der Mitte dieses so
viel geschüttelten und zum Zankapfel gewordenen Reiches in dem Gebiet der drei Bischofsstädte
Metz, Thule und Verdun entstand nun in den letzten Jahren Heinrichs I. eine religiöse Bewegung,
eine Erweckungsbewegung, wie Cassius Hallinger sagte, die auf der Suche nach einer ihrgemäßen
Lebensform in einem strengen benediktinischen Mönchtum ihre Bestimmung fand und mit der
Unterstützung der Bischöfe eine Reform der Klöster ins Werk setzte und darüber hinaus schreitend zum
Ausgangspunkt einer monastischen Reformbewegung in Lothringen und im übrigen Reich und besonders
auch in Bayern wurde, wo die Klöster durch die Ungarn-Einfälle und den bayerischen Herzog
Arnulf, den Bösen, den Konfiskator kirchlichen Besitzes arg gelitten hatten. Am Anfang dieser
Bewegung aber stammt eine Gruppe von Geistlichen und Weltlichen, die sich in dem alten und wie es
heißt, ziemlich verwahrlosten Kloster Gors, etwa 16 Kilometer südwestlich vom Zentrum von Metz
etablierte, eine Abtei, die schon 757 von dem Bischof Chrodegang von Metz gegründet wurde und die
Apostel Petrus und Paulus, den Protomatyr Stephanus und vor allem den römischen Märtyrer Gorgonius
als ihre Patrone verehrte. Auf Gortze, das 933 reformiert wurde nach herkömmlicher Datierung,
folgte schon 934 die Reform von Sankt Maximin bei Trier und von weiteren Abteien, so bezeichnet man
die ganze Bewegung als die Gortze-Trierer monastische Reform, deren Wirkungen bis in das
Presenters
Prof. Dr. Christian Jacobsen
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:27:53 Min
Aufnahmedatum
2001-01-11
Hochgeladen am
2018-06-21 10:18:44
Sprache
de-DE